Wo stehen wir?
Ein Kommentar von Alexander Endl
Abrissbirne! Alle weg! Nochmal Reset-Knopf drücken! Alles zurück auf LOS! Und froh sein, wenn es bis dahin nicht zum Schlimmsten kommt. – Der Club und sein Umfeld scheint wieder einmal im Panik-Modus zu sein. Man gewöhnt sich leider nicht daran, auch wenn man zwischenzeitlich ja Übung darin haben sollte. So ungefähr seit 1969.
Liebe Leser:innen, ich melde mich mal, natürlich vom Abgrund, das heimliche Motto der Sportberichterstattung rund um den FCN. Mein erster Kommentar bei “Clubfans Reunited”, doch die Älteren werden sich vielleicht an mich erinnern, an 28 Jahre Clubfans United, die eine stets belebte Geschichte medial begleitete: Pokalsieg 2007, dann Abstieg als Pokalsieger, Wiederaufstieg, vier Jahre Bundesliga-Mittelfeld, dann Abstieg und 2018 wieder Aufstieg – soweit alles halbwegs “normal”. Doch was danach passierte, war vielleicht einschneidender. Oder doch nur die logische Konsequenz? Eins nach dem anderen.
Vorweg sei gesagt: Eigentlich hat man ja keine Ahnung. Weder in Sachen Finanzen, noch sport-ökonomisch, noch intern in Sachen Vereinsführung, noch ist man sportlich qualifiziert oder wenigstens nah genug dran, um sich über die Mannschaft und deren Gefüge ein qualifiziertes Bild zu machen. Das einzige was wir haben ist das, was ‘passieren auf Platz’, die nackten Ergebnisse und die Kommunikation. Dieses Manko hat uns aber noch nie abgehalten und manchmal liegt man dann auch damit gar nicht so falsch in der Analyse. Und vor dem ganzen Hintergrund will ich sagen: Wir sind auf einem guten Weg!
Nein, keine Polemik. Aber natürlich Diskurs-würdig, daher will ich ausführen. Die Kernfrage bei der Beurteilung der Situation ist dabei: “Woher kommen wir, wo stehen wir, wohin führt das?” Meistens wird nur “Wo stehen wir?” herangezogen und daraus eine entsprechende Prognose abgeleitet – und das “Woher kommen wir” höchstens als Ausrede gelten gelassen. Dabei ist das vielleicht der entscheidende Punkt: Der Club war spätestens nach dem Wiederabstieg 2019 nicht nur sportlich am totalen Abgrund (Nahtodeserfahrung Ingolstadt), sondern wohl auch finanziell. Die Gründe dafür will ich nicht nochmal durchkauen, auch wenn ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass die grundlegenden Fehler hier im
Bundesliga-Jahr gemacht wurden und der größte Fehler dabei nicht war, nicht genug für den Klassenerhalt getan zu haben, aber das ist heute nicht das Thema. Kurz vor dem Abstieg in die 3. Liga war der Club auf der Intensivstation, wie sehr, wissen wahrscheinlich nur die Verantwortlichen selbst und es ist gut, dass es nicht alle wissen.
Lange Vorrede, kurzer Sinn: Vor dem ganzen Hintergrund ist der FCN aktuell auf einem guten Weg – der ist eben nur sehr steinig, es geht alles sehr langsam und ist auch insgesamt mit vielen Risiken verbunden. Dennoch: Der eingeschlagene Weg ist richtig und einen erneuten Kahlschlag, Reset oder Neuanfang zu fordern, ist ein noch viel größeres Risiko und führt vielleicht sogar zum endgültigen Fiasko, denn so viele milde Winke des Schicksals wie Can Uzun wird es nicht geben.
Ohne Frage ist die sportliche Situation des FCN nicht befriedigend – und sollte das worst case Szenario eintreten, wäre das auch ein Fiasko. Doch bei allem Pessimismus: Das Risiko ist da, aber dessen Eintritt schlichtweg unwahrscheinlich. Was bleibt ist, was man daraus für Folgen zieht. Und hier ist die Sachlichkeit bei der Analyse eben maßgeblich. Auch wenn die Tendenz der Jahre seit 2020 nicht gerade euphorisch stimmt, es ist eine Tendenz.
Der Club hat sich finanziell erholt, wenn auch noch nicht vollends regeneriert. Die Jugendmannschaften sind stabilisiert und die Integration junger Spieler in den Profi-Kader etabliert. Daraus resultiert eine Einnahmequelle, die perspektivisch tragen kann. Dazu kommt ein neues Konzept in der Vermarktung mit Blick auf regionale Partner und das Streben nach einem neuen Image in Sachen CSR und Nachhaltigkeit, was zu einem USP (einem Alleinstellungsmerkmal) führen kann, was wiederum Investoren und Partner anzieht.
Mit allem macht man sich autark vom sportlichen Erfolg. Und das tut einerseits weh, weil man sich den Erfolg doch so sehnlichst wünscht, es ist aber auch heilsam, denn den sportlichen Erfolg, der sonst die Einnahmen sprudeln lässt, wird man schlicht nicht mehr in absehbarer Zukunft erreichen. Zu viele andere wollen genau den Weg gehen und die spielen mit Mitteln, die schon längst jenseits allem Erreichbaren sind.
Darum: Auch wenn die aktuelle Talfahrt mehr als frustrierend ist, sie ist erklärbar, sie muss zu Korrekturen führen und sie darf nicht zum Fiasko werden. Erklärbar, weil der FCN eben keinen Kader hat, der oben mitspielen kann. Weder in der Breite qualitativ besetzt, noch eingespielt, noch gut strukturiert. Dass dies so ist, ist Folge von fehlenden finanziellen Mitteln und eingegangenen Risiken. Risiken, die man eingehen muss, wenn man keine Mittel hat: Talente reinwerfen, Verletzte einkaufen, lange Verträge machen. Und das kann in Summe dann wieder dazu führen, dass nach einer mittelmäßigen Saison, wo die erfolgreichen Talente schon mit dem Kopf woanders sind, die Verletzten verletzt und die langfristigen Verträge auf der Bank sitzen, eben in Summe zu einem Zusammenbruch der Leistung führen.
Und dennoch bleibt, wenn nicht wirklich alles noch verrückt spielt: Nächstes Jahr sind wir wieder einen Schritt weiter, da finanziell konsolidierter und damit handlungsfähiger. Spricht das auch gegen personelle Konsequenzen einzelner? Nein. Weder dafür noch dagegen. Nur eben mit diesen Gedanken betrachtet, fällt die Beurteilung vielleicht anders aus. Der Club wird nicht um den Aufstieg spielen, wird gut haushalten müssen mit dem eingenommenen Geld, dabei Altlasten tilgen, die NLZ weiter fördern und das Konzept unterfüttern. Dabei maßvoll ein Spielsystem weiter etablieren und gezielt die Jugendförderung und damit zukünftige Einnahmequellen höher stellen als Kampf und Krampf um eine vage Aufstiegshoffnung, die im Zweifel auch nur wieder zum Revival 2020 führt.
Daher: Weiter so! Aber inklusive: Lernen aus Fehlern, korrigieren, maßvoll bleiben. Aber doch ein Wunsch oder Bitte: Besser kommunizieren. Nehmt die Menschen mit. Hört nicht auf, den Weg zu erklären. Kein belehren und Fingerzeige auf das “schwierige Umfeld”. Dämpft nicht gleich immer jede Euphorie, aber kanalisiert sie in eine positive Energie. Und da fehlt es vielleicht am meisten beim Club zur Zeit, wenn man nur an einen knurrigen Pragmatiker als Vorstand und medien-scheuen Trainer denkt: Eine charismatische Führungsperson, die die Menschen mitnimmt, begeistern kann, im richtigen Moment in den Arm nimmt und manchmal auch mit ihr in die Kissen beißt. Wenn das gelänge, das glaube ich fest, wäre das der beste Transfercoup für den Club.
Autor: Alexander Endl
Bild: Teo, Juwe + PS