Franken rettet Deutschland

Gut eingestellte Schweizer

Nachdem die deutsche Mannschaft in den ersten Auftritten gegen die Schotten und gegen Ungarn stark aufgespielt und sich damit zu einem der Turnierfavoriten gemausert hatte, insbesondere im überzeugenden Auftritt im Eröffnungsspiel, folgte nun gegen die starken Schweizer ein kleiner Dämpfer. Lange Zeit fand man gegen sehr tief stehende und kompakte Schweizer keine Mittel, das Bollwerk zu knacken. Zeitweise stand die schweizer Formation aber auch recht hoch und bot nur einen schmalen Korridor zum Bespielen an, so dass die Kombinationen mehr hintenrum und quer geführt wurden und die Wege in die Spitze kaum gefunden wurden. Es entwickelte sich ein intensives Duell mit der Schweiz, wobei beide Offensivreihen zunächst kaum ins Spiel fanden.

VAR das ein Tor?

Erster Aufreger dann das vermeintliche Tor durch einen tückischen Aufsetzer von Andrich, bei dem Jann Sommer nicht gut aussah. Leider jedoch monierte der VAR ein Foul und der Schiedsrichter, der Italiener Daniele Orsato, dem von Nagelsmann nach dem Spiel „keine klare Linie“ bescheinigt wurde, nahm den Treffer nach Videostudium zurück. Zwar ist die Entscheidung prinzipiell korrekt, aber für mich generell fragwürdig, denn solche Fouls, die das Spielgeschehen überhaupt nicht beeinflussen, wurden vor Zeiten des VAR auch nicht bemerkt und schon gar nicht berücksichtigt. Der Schweizer spielt den Ball sauber raus, erst danach trifft ihn Musiala, der zwar den Fuß einzieht, aber den Treffer auf den Fuß von Aebischer nicht verhindern kann. Eigentlich folgt dann eine neue Spielsituation, als Andrich im Rückraum an den Ball kommt. Der gefoulte Schweizer steht zu diesem Zeitpunkt längst wieder. Der anschließende Torschuss wird durch das Foul also überhaupt nicht beeinflusst. Wieder stellt sich die generelle Frage: was soll der VAR und was muss er? Für mich ist diese Einflussnahme, wie auch beim nur durch den Erschütterungssensor nachweisbaren Handspiel des Portugiesen vor ein paar Tagen, übertrieben. Denn wenn aus einer Situation kein Vorteil gezogen wird, dann ist sie auch nicht relevant, zumindest wenn keine persönlichen Strafen im Spiel sind.

Das Tor fiel dann auf der anderen Seite, nach schnellem Gegenstoß der lauernden Schweizer und schöner Direktabnahme des auffälligen Ndoye. Das VAR dann ein Tor, eine deutsche Fußspitze hob das Abseits auf. Die bei der EM praktizierte halbautomatische Abseitskontrolle gefällt mir übrigens sehr gut, durch den Sensor im Ball gibt es auch keinen Interpretationsspielraum beim Abspielzeitpunkt und die Grafik ist sehr anschaulich.

VAR da nicht noch was?

Weitere strittige Entscheidungen folgten, ohne dass sich der VAR entscheidend einbrachte. Für mich am deutlichsten war die schweizer Ringereinlage im Strafraum gegen Beier, der klar gehalten und am Torschuss gehindert wurde. Bei einer derart kleinlichen Regelauslegung zuvor bei Andrichs nicht gegebenen Tor hätte man hier konsequenterweise auf Elfmeter erkennen müssen. Aber wie Nagelsmann schon sagte, der Schiri blieb ohne klare Linie. Zwei weitere Situationen von Havertz, der sich nicht fallenlassen wollte, hätte man auch anders bewerten können.

Das Spiel unter schweizer Verwaltung

Die Schweizer verwalteten die knappe Führung im weiteren Verlauf souverän und hielten die zuletzt so torfreudige deutsche Offensive erfolgreich vom eigenen Tor fern. Sehr treffend eine Whastapp von Juwe, die er mir während des Spiels geschrieben hat: „kaum Löcher im Schweizer Käse!“ Made my day! Dies änderte sich nicht bis Mitte der zweiten Halbzeit, als die Zeit der Franken anbrach.

Mehr Franken geht kaum

Abgesehen vom schweizer Zahlungsmittel (ist hier nicht gemeint) standen nach der Einwechslung von Füllkrug, Raum und Sané auf deutscher Seite und Duah auf schweizer Seite drei Exclubberer, der Sohn eines Clubberers und ein gebürtiger Nürnberger, den es allerdings auf die „schäl Sick“ (wie der Kölner sagt) verschlagen hatte, gemeinsam auf dem Platz. In dieser Häufung wird das vermutlich im Laufe der EM nicht mehr passieren. Aber das weckte nicht nur die Nostalgie vergangener Clubtage, sondern beeinflusste auch das Spiel. Raum und Fülle sorgten sichtlich für Belebung und nach ein paar guten Flanken, die noch nicht erfolgreich verwertet wurden (z.B. Havertz) folgte der Höhepunkt in der Nachspielzeit: in fränkischer Koproduktion köpfte Fülle nach perfekter Flanke von Raum den Ausgleich und rettete den deutschen Gruppensieg. Franken rettet Deutschland vor der ersten Turnierniederlage! Erinnerungen an die goldenen Zwanziger werden wach, als die Nationalmannschaft nur aus Clubberern und Kleeblättern bestand…

Die Vorrunde und ihre Folgen

Wie bewerten wir nun die deutsche Vorrunde? Für mich bisher ein überraschend starker Turnierverlauf, eine kleine Delle, wie gegen die Schweiz ist dabei normal. Auch zeigte die deutsche Mannschaft Moral und konnte daraus sicher Kraft ziehen, dass man auch in letzter Minute einem Spiel noch eine Wendung geben kann. Nach den euphorischen ersten Spielen vielleicht auch ein kleiner Warnschuss zur rechten Zeit, dass man jederzeit wach und fokussiert bleiben muss. Ich finde schon, dass man diesen leichten Leistungsabfall vielleicht auch der Gewissheit des Weiterkommens zuschreiben kann, die Mannschaft wirkte nicht ganz so griffig wie in den Spielen zuvor.
Ich jedenfalls hatte mich bereits mit dem zweiten Gruppenplatz arrangiert, was ja auch Vorteile gehabt hätte, denn man wäre den Spaniern, die bislang den stärksten Eindruck im Turnier machen, im Viertelfinale aus dem Weg gegangen. Aber wer Europameister werden will, muss sowieso jeden schlagen!

Aber langsam, zunächst muss das Achtelfinale erfolgreich bestritten werden. Hier steht der Gegner noch nicht fest, denn Zweiter der Gruppe C kann im Grunde noch jeder werden: England, Dänemark, Slowenien und sogar Serbien als derzeitiges Tabellenschlusslicht…

Wie heißt es so schön: nur von Spiel zu Spiel denken, also vollen Fokus auf das Achtelfinale!
Und ob sich die Schweizer über den Zweiten der Gruppe B mehr freuen, als über die Aussicht, die Spanier vermieden zu haben, wird sich zeigen, denn sie könnten auf Italien, Albanien oder Kroatien treffen.

Letztendlich freue ich mich, dass wir im Turnier noch ungeschlagen sind und hoffe, dass es so bleibt!

Anmerkung Redaktion: Damit ist unser geschätzter Fan Redakteur Optimist nicht alleine! Rekordnationalspieler, Fußball Urgestein und Franke Matthäus sieht es genau so.

Autor: Optimist
Bildquelle: Pexels, Livestream, Juwe, PS