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Jan Reichert – Hoffnung auf Weiterentwicklung

Im Zuge der großen Neuausrichtung beim Club wurde im Sommer mit Jan Reichert auch die Torhüterposition neu besetzt. Dabei ist der Mann aus dem eigenen Nachwuchs einer von sieben Stammtorhütern der Liga, die entweder jünger als 23 sind oder ihre erste Profisaison spielen. Im bislang wechselhaften Saisonverlauf konnte sich der 23-Jährige schon auszeichnen, steht zugleich aber in seiner Entwicklung noch lange nicht am Ende.

Ausgangssituation

Seit 2021 spielt Reichert, der beim FC Schweinfurt ausgebildet wurde, für den FCN. Für die Schnüdel hatte er insgesamt nur 9 Pflichtspiele absolviert, sodass seine erste Saison im Clubtrikot erwartungsgemäß der Akklimatisierung in der Regionalliga Bayern diente. Schon in der Folgesaison 2022/23 zählte Reichert jedoch zu den stärksten Torhütern der Liga und war neben dem damaligen Unterhachinger René Vollath wohl der Schlussmann, der den gegnerischen Spielern und Fans den größten Respekt einflößte.

Trotzdem blieb er noch eine weitere Saison in der U23 Stammkeeper vor dem nicht minder talentierten Nicolas Ortegel. Auch die in der Winterpause erfolgte Ablösung von Christian Mathenia in der Profimannschaft änderte an diesem Zustand nichts. Während der EM durfte Reichert nach seinem Profi-Debüt gegen den HSV zunächst regelmäßig mit der Nationalmannschaft trainieren, bevor er zur neuen Saison schließlich doch die Nummer 1 beim Club wurde. Das Feedback der Torwarttrainer beim DFB fiel dabei gemäß dem „Kicker“ äußerst positiv aus: Reichert verfüge über Bundesliga-Potenzial.

Ausbaufähige Strafraumbeherrschung und Antizipation

Dennoch ist der Sprung von der Regionalliga Bayern in die 2. Bundesliga ein großer, der naturgemäß zu anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten führen kann. So ist auch bei Reichert zu erkennen, dass er aktuell in einigen Bereichen noch Verbesserungsbedarf hat, gerade in der Strafraumbeherrschung. Obwohl der Club bislang die drittmeisten gegnerischen Flanken in den Strafraum zulässt (19 pro 90 Minuten), ist Reichert derjenige Torwart, der die wenigsten abfängt: In den bisherigen fünf Spielen gelang ihm das insgesamt lediglich ein Mal gegen Ulm. Dementsprechend ist seine Abfangquote von Flanken (1,1%) derzeit die schlechteste der Liga.

Deutlich unter dem Ligadurchschnitt liegt der 23-Jährige auch bei der Anzahl der Abwehraktionen außerhalb des Strafraums (0,4 pro 90 Minuten) und der durchschnittlichen Entfernung seiner Abwehraktionen vom eigenen Tor (12 Meter). In beiden Kennzahlen gehört er zu den letzten vier Torhütern der Liga. Der Schluss liegt also nahe, dass Reichert sein Selbstverständnis in der höheren Spielklasse aktuell noch nicht hundertprozentig gefunden hat und sich deswegen in vielen Situationen scheut, die Torlinie oder den Strafraum proaktiv zu verlassen. Der von Fans zum Teil geäußerte Eindruck, seine Präsenz und Ausstrahlung seien noch verbesserungswürdig, lässt sich mit Blick auf diese Zahlen also durchaus stützen.

Noch kein modernes Torwartspiel

Jedoch steht Reichert nicht nur in Situationen, in denen das eigene Tor akut bedroht ist, so tief. In jedem der fünf absolvierten Ligaspiele war der gegnerische Torwart im Durchschnitt höher positioniert. Nicht auszuschließen ist derweil, dass dieser Umstand nicht (nur) auf Reichert, sondern möglicherweise auf Vorgaben des Trainerteams zurückzuführen ist: Auch im Pokal stand Saarbrückens Menzel etwas höher als Mathenia. Jedenfalls ergeben sich aus dieser sehr tiefen Positionierung des Torhüters, kombiniert mit der oben angesprochenen Zurückhaltung Reicherts in manchen Situationen, aktuell spürbare Folgen für die Struktur der Mannschaft.

Um den Raum zwischen der letzten Kette und Reichert nicht zu groß werden zu lassen, müssen Jeltsch und Knoche ebenfalls tief stehen, was sich dann, um weite Abstände zu vermeiden, durch die ganze Mannschaft zieht. Infolgedessen liegt die durchschnittliche Positionierung unseres offensivsten Spielers (meistens Pick, gegen Ulm Forkel und Justvan) nur knapp hinter der Mittellinie und damit deutlich weiter weg vom gegnerischen Tor als bei allen bisherigen Gegnern. Die Probleme des Club, zu Aktionen im gegnerischen Strafraum zu kommen (nur Regensburg schafft das bislang seltener), lassen sich dadurch zumindest teilweise erklären, wenngleich andere Faktoren natürlich nicht außer Acht gelassen werden dürfen.

Im Aufbauspiel schlug Reichert bisher 33,5% seiner Pässe und 67,9% seiner Abschläge lang und bewegt sich damit jeweils in den oberen 15% der Liga. Dementsprechend spielte nur Schalkes Heekeren im Durchschnitt längere Pässe als Reichert mit 31,5 Metern. Aufgrund der vielen langen Bälle zählt seine Passgenauigkeit von 68,9% zu den schlechtesten der Liga, wobei aber zumindest die Genauigkeit über weite Distanzen genau im Durchschnitt liegt.

Guter Rückhalt auf der Linie

Reicherts beste Teildisziplin ist bislang das Spiel auf der Linie. Zwar bewegt sich seine Paradenquote von 58,3% in den unteren 20% der Liga, was allerdings nicht verwundert, wenn man die Chancenqualität der Gegner betrachtet. Der nach Schussabgabe berechnete xG-Wert pro Schuss ist nur bei den Gegnern von Braunschweig und Darmstadt höher als bei denen des FCN. Für unsere Nummer 1 ist es also dementsprechend schwerer, Abschlüsse zu entschärfen, als für die meisten anderen Zweitligatorhüter. Dementsprechend liegt er auch noch im leicht negativen Bereich, was die über die Chancenqualität hinaus erzielten Tore des Gegners betrifft. Statistisch gesehen hätte der FCN in der bisherigen Saison 0,34 Gegentore weniger kassieren müssen. Dieser Wert ist dabei hauptsächlich auf das Karlsruhe-Spiel zurückzuführen, in den anderen vier Spielen lag Reichert hier im positiven Bereich. In den letzten Wochen fiel er besonders als sicherer Rückhalt auf, der Punkte für die Mannschaft festhalten kann.

Weiterentwicklung bereits jetzt erkennbar

Auf alle fünf Spiele bezogen lassen sich somit Aspekte finden, in denen Reichert solide bis gut abschneidet, aber auch solche, die noch verbessert werden müssen. Dass eine Verbesserung gelingen kann, zeigt dabei schon seine Entwicklung über die ersten fünf Spieltage hinweg. Gegen Karlsruhe erwischte er insgesamt keinen guten Saisonstart. Auch wenn er bei keinem der drei Gegentore einen klaren Fehler beging, erzielte Budu Zivzivadze dennoch 1,6 Treffer mehr, als die Chancenqualität hergegeben hätte. In den anderen vier Saisonspielen, selbst bei der Klatsche gegen Magdeburg, behielt Reichert dagegen statistisch gesehen immer die Oberhand über die gegnerischen Angreifer, am deutlichsten gegen Darmstadt, wo er rechnerische 0,54 Tore vereiteln konnte.

Schlug er gegen Schalke und Darmstadt noch etwa zwei Drittel seiner Pässe lang, konnte er diese Zahl zuletzt reduzieren, sodass es gegen Ulm nur noch 40% waren. In den ersten beiden Saisonspielen brachte er nur etwa ein Viertel seiner langen Bälle zum Mitspieler, bevor er sich auf knapp die Hälfte und zuletzt gegen Ulm auf 69% steigerte. Dementsprechend verbesserte sich auch seine Passquote insgesamt spürbar. In den ersten drei Partien lag sie zum Teil deutlich unter 70%, gegen Magdeburg bei 75% und schließlich bei starken 87,5% gegen Ulm. Reichert wurde im Verlauf der bisherigen Saison also immer sicherer im Passspiel und wählte seltener die Verlegenheitslösung des langen Balles. Wenn er sich doch dafür entschied, erfolgte das deutlich präziser als noch in den ersten zwei Partien.

Ausblick

Behält er seine zuletzt gezeigten Leistungen im Passspiel und auf der Linie bei, muss sich Reichert diesbezüglich wohl vor kaum einem Torwart in der zweiten Liga verstecken. Noch keine Entwicklung zu sehen ist bislang dagegen in der Strafraumbeherrschung. Wie der gesamten Mannschaft und dem Trainerteam sollte man jedoch auch ihm in seinen ersten Wochen in der zweiten Liga noch Zeit zur Weiterentwicklung einräumen. Dass er lernfähig ist, zeigt bereits seine erkennbare Leistungssteigerung innerhalb eines kurzen Zeitraums von erst fünf Spielen anschaulich.

Bewertung 1-10:

 

Autorin: Pausenpfiff
Bild: juwe

    

12 thoughts on “Jan Reichert – Hoffnung auf Weiterentwicklung

  • Wieder eine interessante Analyse. Vielen Dank!
    Die Analyse fußt rein auf Daten, aber ein Fußballspiel besteht aus mehr als Zahlen und Daten. Passquoten z.B. hängen immer davon ab, ob man anspielbare Mitspieler vor sich hat, die sich auch frei laufen. Wenn dies nicht der Fall ist, sinken die Quoten automatisch. Deshalb bin ich kein Freund von reinen Daten. Man muss sie wenn dann im Kontext sehen.

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  • Spannende und aufschlussreiche Analyse, vielen Dank!

    Ich hätte nicht gedacht, dass Jan Reichert in einigen Kategorien so schlecht abschneidet. Ich hätte ihn insgesamt für solider gehalten. Andererseits ist es auch mein subjektiver Eindruck, dass er am Anfang noch ein wenig Probleme hatte, in seine Rolle rein zu finden und sich aber von Spiel zu Spiel steigert, mehr Selbstvertrauen, mehr Selbstverständnis und mehr Ausstrahlung gewinnt.

    Ich glaube, er braucht einfach Rückhalt, um seine volle Leistungsfähigkeit abrufen zu können. Da haben eben die vielen Zweifler zu Beginn der Saison sicher nicht geholfen.

    Ja, da ist noch Luft nach oben, aber ich glaube auch, dass er das im Tank hat und seinen Weg machen wird.

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  • Kann mann sich eigentlich während der Karriere in der Strafraumbeherrschung entscheidend verbessern oder muss das Talent schon am Anfang am Start sein ?

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    • Ich glaube schon, dass da eine Verbesserung möglich sein sollte, wenn noch etwas mehr Erfahrung und Selbstvertrauen zum Talent dazukommen.

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    • Verbessern ist mit viel Training möglich. Sich Robustheit im Luftzweikampf verschaffen geht, auch Flanken besser/weiter/anders wegzufausten, sich mehr Sicherheit fürs Fangen der Bälle verschaffen ist auch drin. Was man aber nur in geringem Maße verbessern kann ist die Fähigkeit, Flankenbälle in ihrer Flugbahn incl. Effet vorauszuahnen. Zu wissen wann man an welcher Stelle der Fluglinie als Torwart raus kann, raus muss und sich sicher ist, dass man den Ball auch erwischt, das ist ein Stück weit angeboren. Ähnlich wie der Instinkt des Torjägers.

      Wir können aber sicher sein, dass Reichert diese Befähigung besitzt, ansonsten hätte er es nie zu den Profis geschafft. Fiel hat Reichert selbst nach seinem unschönen Wechsel zur Hertha die Profiqualitäten eindeutig bescheinigt. Was Reichert jetzt noch fehlt, ist Erfahrung und Selbstvertrauen. Dann kann er ein wirklich guter Zweitligatorhüter werden, evtl. auch mehr. Ob die Flanken dann zu seiner Paradedisziplin werden, bezweifle ich etwas. Aber das Torwartspiel besteht ja nicht nur daraus, sondern aus mehreren unterschiedlichen Elementen. Lasst es uns wie Freiburg mit Atubolu machen und geben wir JR Zeit, sich mit dem Team zu entwickeln. Es wäre schön, wenn der FCN diesmal ein Torwarttalent zu Ende formt statt es mal wieder zu beschädigen.

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      • Sehr interessante Antwort @block4.
        Habe bei meiner Frage ans Tennis gedacht wo das Training für das Volleyspiel nur bis zu einem bestimmten Punkt etwas bringt wenn nicht genügend Gefühl vorhanden ist.

    • Hatten wir eigentlich je einen Torwart mit guter Strafraumbeherrschung? Auch bei Raphael Schäfer war das nicht gerade die Paradedisziplin.

      Wäre er schon ein kompletter Torhüter, wäre er sicher nicht mehr bei uns. Schauen wir mal, wie weit ihn sein Weg führt.

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  • Ich oute mich auch gerne als Pausenpfiff-Fan. Bin aber der Meinung von @Torschusspanik und finde, dass es zu diesem frühen Zeitpunkt schwierig ist, das Torwartspiel zu bewerten. Insbesondere was die Passquote betrifft. Das Ganze vor dem Hintergrund, dass unser Spielaufbau mit der neuformierten Abwehr über weite Strecken schwach bis erbärmlich war bislang.

    Dass Jan Reichert gegen Ulm eine tolle Passqoute hatte, verwundert nicht. Denn Ulm hat ja über weite Phasen des Spiels auf ein aggressives Angriffspressing verzichtet. Wohingegen uns Schalke am Schlawittchen hatte, bis Schallenberg vom Platz flog und man zu Zehnt das Pressing kappte.

    Beim Ausblick geh ich aber wieder voll mit: Reichert ist auf einem guten Weg.

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  • Eine spannende Analyse.

    Am auffälligsten finde ich noch sein Entwicklungspotential in der Strafraumbeherrschung und im Spielaufbau.

    Beides hängt aber auch direkt mit der Beweglichkeit der Mitspieler zusammen.

    Ich kann mir kaum vorstellen, dass das statische Warten auf Reicherts Aktionen Vorgabe des Trainerteams ist.

    Deshalb: Seine Weiterentwicklung und auch sein Selbstbewusstsein wird von der gesamten Anlage des Spielaufbaus abhängen.

    Einer der Schlüssel zum Entzaubern des Clubs ist hohes aggressives Pressing bei Spielaufbau des Clubs.
    Dazu braucht es Lösungen.

    Die Dreierkette könnte da helfen.

    Danke für den aufschlussreichen Beitrag, Pausenpfiff! 🙂

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  • Jeder große Torwart hat mal klein angefangen. Man bedenke z.B. die ersten Spiele von Andreas öpke im Clubtor, das war auch nicht das Gelbe vom Ei und man dachte schon was für einen Fliegenfänger haben sie da geholt und was ist dann aus ihm geworden, Europameister, Fußballer des Jahres und Welttörhüter.

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  • Jan Reicherts Heimatverein gewinnt das Spitzenspiel der Regionalliga. Der FC Schweinfurt 05 schlägt Wacker Burghausen mit 3:2. Ein Spiel auf Augenhöhe, am Ende aber siegte die Mentalität.

    „Der Moment nach dem Ballverlust, die Zurückeroberung, ist das, was mich begeistert. Das ist Leidenschaft, Intensität und Gier.“ (Schnüdel-Coach Victor Kleinhenz)

    So isses. Ein starkes Gegenpressing find ich auch toll. Und würde ich mir regelmäßig auch von Reicherts aktuellem Verein wünschen.

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  • Ich habe leider nur die zweite Halbzeit gesehen, aber die Schnüdel haben mit viel Leidenschaft und Kampf, aber auch mit gutem Fußball das Spiel zu ihrem Gunsten gedreht und die 3 Punkte im Spitzenspiel redlich verdient.

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